Das Hochhaus als Politikum
Im Österreich der 1920er und frühen 1930er Jahre herrschten zwischen Sozialdemokraten und Christlich-Sozialen politische Lagerkämpfe, die bis in den Wiener Städtebau hinein ausgetragen wurden. Hochhäuser waren zur damaligen Zeit ein oft verwendetes Symbol für Fortschritt und Wohlstand, weshalb der Bau des ersten Wiener Hochhauses zu einem parteipolitischen Prestigeobjekt ersten Ranges wurde. Bei der Frage, wem der Bau eines solchen Hochhauses zuerst gelingen würde, ging es vor allem um die damit verbundene politische Machtdemonstration.
Indiz dafür, dass die (sozialdemokratisch regierte) Gemeinde Wien sich 1929 schon als Gewinner dieses Wettlaufs sah, war die durch sie veranlasste Änderung der Wiener Bauordnung, welche die Errichtung von Hochhäusern in einer Höhe von über 26 Metern gestattet.
Nun stand der Realisierung eines bereits fertig geplanten Projekts der Gemeinde Wien im 9. Bezirk vermeintlich nichts mehr im Wege. Es sollte ein monumentales Bauwerk, ein „multifunktionales, innerstädtisches Zentrum“ mit Lesehallen, begehbaren Dächern, Büros für gemeindeeigene Institutionen und 250 Wohnungen, ein „Statement der Sozialdemokratie“ werden. Jedoch – wie schon einmal in der Geschichte – sollte es anders kommen.
1931 beschloss die christlich-soziale Bundesregierung eine Abgaben-Novellierung, die den großen Gemeinden – allen voran Wien – ihre finanzielle Sonderstellung entzog und sie plötzlich mit hohen Gebühren belastete. Obwohl dies offiziell nie als Grund für den Abbruch des sozialdemokratischen Hochhausprojektes eingestanden wurde, ist doch davon auszugehen, dass sich die Gemeinde Wien die Errichtung eines derart großen Gebäudes – auch mit bedingt durch die damalige Weltwirtschaftskrise – nicht mehr leisten konnte.
Genau darauf hatten die Christlich-Sozialen gewartet. Nachdem das unter Bundeskanzler Ignaz Seipel beschlossene Wohnbau-Förderungsgesetz schon im Juni 1929 in Kraft getreten war, konnte der Wohnbau nun auch für finanziell besser Gestellte durch staatliche Gelder unterstützt werden. Demgemäß und auch als Gegensatz zu den Plänen der Sozialdemokraten sollte das „schwarze“, erste Hochhaus Wiens kein multifunktionelles Gebäude für die Allgemeinheit werden, sondern ein Wohnhaus mit einer idealen Infrastruktur für seine Mieter.